9.
Harfe, Horn und dann Streicher; Eine langsame Melodie in Dur, D-Dur, jedoch unantastbar, irgendwie vergänglich; eigentlich unendlich traurig. Doch das "Dur" hält nicht lange, es schlägt um zu Moll. Aus diesem Moll entsteht eine leidenschaftliche Melodie, immer noch den Streichern vorbehalten, die sich langsam zum ersten Höhepunkt empor windet. Die dramatische Spannung der aufgewühlten Streicher entladet sich, über einem markanten Rhythmus im Horn, und nun erst hat man das Gefühl, die Musik ist richtig da, und sie geht immer weiter, fließt förmlich vor sich hin und entsteht dabei erst selber. Noch ein mal erschallt die Fanfare, bevor die Musik mit einem Mal wieder zur, der Welt mit ihren eigenartigen Rhythmen und Streichertremoli etwas entrückten, Anfangsstimmung zurückkehrt. Nach einem weiteren Anlauf kommt es wieder zu einem Höhepunkt: Der Ganze Satz handelt von Zuversicht, die sich dauernd mit dem Gedanken an den Tod abwechselt. Ein Kontrast in sich.
So in etwa beginnt Gustav Mahlers 9. Symphonie. Dieser erste Satz ist wohl der großartigste Symphoniesatz, den Mahler je geschrieben hat. Er weißt einen unglaublichen "Grad der Verinnerlichung, eine Konzentration der Darstellung ... sowie formale Geschlossenheit" vor, wie der Musikwissenschaftler Erwin Ratz sehr schön formulierte.
Oft wird die 9. Symphonie im Zusammenhang mit Mahlers baldigem Tod, den er aufgrund einer Herzkrankheit bereits ahnte, in Verbindung gebracht. Un diese Ahnung meint man bereits an vielen Stellen im ersten Satz wahrzunehmen. Es ist eine Abschiedsmusik.
Doch wenn der 1. Satz gewissermaßen eine Spiegelung der geistigen Verfassung des, von der Erde bereits abschied nehmendem Komponisten darstellt, so erinnert er sich in den zwei folgenden Mittelsätzen des Lebens. So hat er doch beispielsweise schon in seiner 1. Symphonie einen Ländler an zweiter Stelle komponiert, und macht das wieder. Doch freilich übertrieben und sehr "derb". Will er damit zeigen, wie "naiv" er damals selber (und seine Zuhöhrer?) war? Bezweckt er ähnliches auch in der darauf folgenden, schnellen Rondo-Bourleske? Sie beginnt mit den Tönen fis-gis-d, von der Trompete schroff und laut dahingestellt. Dann die Antwort in den Streichern mit einem Fünfton-Motiv. Es kommt uns bakannt vor, und zwar vom Beginn des 2. Satzes der 5. Symphonie. Parodiert Mahler sich selber, indem er frühere Symphonien zitiert, und die Motive zu kurzen Floskeln "verstümmelt"? Er baut aus diesen unzusammenhängenden Bausteinen eine dissonante, sehr modern klingende und hoch komplizierte Chaosmusik zusammen. "Ha, und da soll noch ein Kritiker behaupten, seine Kontrapunkte wären nichts!". Hat er im 2. Satz einen "Pseudo-Ländler" geschrieben, so zieht er nun gewissermaßen über seine schnellen Sätze im Stil vom vorhin angesprochenen Satz der 5. Symphonie her. Und dabei machen einem diese Mittelsätze beinahe Angst, wenn man sie in ihrem Grundsinn als ernst empfindet.
Doch so "brutal" ist Mahler nicht. Er muss ein, mit der Welt versöhnendes Finale schreiben, und ihm gelingt das wunderbar lyrische Adagio, zu dem ich nicht mehr sagen kann, als das man sich einfach in die Musik vertiefen muss, um sie gut zu finden.
Hier einige weitere Annmerkungen zu Mahlers Neunter Symphonie:
Tonart:D-Dur (Das Adagio steht in Des-Dur!)
Satzabfolge: I. Andante comodo, II Im Tempo eines gemächlichen Ländlers (etwas täppisch und sehr derb), III Rondo - Burleske, IV Adagio
Entstehungszeit: 1909-1910
Uraufführung: 1912 in Wien unter Bruno Walter
Ich besitze die Aufnahmen von Leonard Bernstein mit dem New York Philharmonic Orchestra von 1967, die Bruno Walter Aufnahme mit dem Columbia Symphony Orchetra (1961) und meine liebste Einspielung der 9. unter Sir John Barbirolli und den Berliner Philharmonikern (1964).
Alle drei sind interpretatorisch ähnliche Aufnahmen, doch ich ziehe Barbirolli den anderen vor. Bei ihm klingt alles wie aus einem Guss, Wahrhaftig und klar. Walter ist mir bsp. beim 3. Satz nicht strikt und beim 1. nicht einheitlich genug. Außerdem klingt das Orchester nicht so gut, wie es bei Babirolli der Fall ist. Bernstein macht seine Sache auch nicht schlecht, doch bei ihm klingt es nicht so "wahrhaftig" - auch wenn das jetzt ein etwas komisches Wort als Beschreibung ist. Wäre ja nicht das erste in dieser Vorstellung...
Mich würde interessieren, welche Aufnahmen (gerade auch modernere) ihr kennt und wie ihr sie findet.
Außerdem: Wie steht ihr zu Mahlers 9. Symphonie?.
Was spricht für und was gegen sie und für wie modern haltet ihr sie?
Und was fehlt an meiner Vorstellung?
Es ist ein sehr persönliches Bild der 9. Symphonie entstanden, aber wo liege ich grundsätzlich falsch?
Hoffe auf spannende Diskussion,
euer kreisler
von eurem kreislerianer
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