Liebe Freunde der klassischen Musik,
ausgehend von den hohen Wogen, die der Thread über die Frage, ob dies Forum denn nun elitär sei oder nicht, möchte ich hier beginnen, natürlich total überspitzt, einige polemische Thesen aufzuwerfen, die uns beweisen sollen, wieviel Selbstironie wir überhaupt haben und haben können und darüber hinaus einfach mal zum Schmunzeln anregen...
1. Um ein Klassikliebhaber zu werden, muss man folgende Eigenschaften haben: zu wenig Geld für Pop-CDs und daraus resultiernder Hass auf die gesamte Unterhaltungsmusik, genügend Verschrobenheit, um sich durch Wühltische der Wohltat'schen Buchhandlung zu quälen und alle paar Minuten einen Heureka-Schrei auszustoßen, und natürlich die Fähigkeit, sich einen interessanten Nickname zuzulegen, hinter dem man sich dann eine neue fiktive Identität zurechtschustern kann.
2. Nach mehreren Tagen ratlosen herumsuchens auf den oben erwähnten Wühltischen entscheide man sich blind für einige CDs, deren Titel einem so wenig wie irgend möglich sagen. Es ist zu empfehlen, dabei auf skandinavisch oder östlich klingende Komponisten- und Interpretennamen zurückzugreifen, das erhöht die Chance, sich etwas wirklich exklusives zu ergattern.
3. Zu Hause lese man die Booklets der CDs (das ist die musikalisch-theoretische Grundausbildung). Falls die CDs aus dem 1-Euro-Segment stammen und evtl. kein Booklet vorhanden sein sollte, gebe man am besten den Namen bei Google ein. Nun hat man bereits ein Spezialgebiet (die Kenntnis anderer Komponisten und Werke ist völlig überflüßig).
4. Es ist besonders zu empfehlen, die Komponistennamen bei Wikipedia zu suchen und dann die Namen der völlig unbekannten und ebnso unwichtigen Freunde und Lehrer des unbekannten Komponisten zu googeln, denn damit läßt sich noch sehr viel besser angeben!
5. Danach empfiehlt es sich, eine Datenbank mit sämtlichen existenten Interpretationen zu suchen. Davon merkeman sich primär jene Aufnahmen, die wahnsinnig teuer sind oder besser noch jene, die man gar nicht mehr imHandel erhält. Letztere Aufnahmen sind in regelmäßigen Abständen immer wieder als Referenz anzuführen.
6. Es schadet nicht, sich im Laufe der Zeit ein blasiertes Vokabular anzueignen, damit man immer längere Beiträge verfassen kann, nachdem man anfänglich mit knappen Informationen genügnd Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, um als profunder Kenner respektiert zu werden. Es empfiehlt sich, immer wieder Phrasen wie "von beachtlichem handwerklichem Geschick", "Elastizität in den Ecksätzen", "Stupender Technik jenseits allen Manierismus", "Werkadäquater analytischer Interpretation, verquickt mit filigraner Poetik" oder ähnliche immer wieder zu üben. Die Rechtschreibung (ordogravih) ist dabei nebensächlich, denn man soll ruhig den Eindruck haben, das sei alles im Rausch dahingeschrieben. Schließlich hat der Kenner im Hintergrund gerade das Bläserseptett in his-moll von Ignaz Karl Schrattenhofer im Player, und er muss während des Schreibens noch auf den vierfachen Kontrapunkt hören und selbstverständlich beim Erreichen des Seitenthemas in der Reprise noch ein lautes Auflachen für die genervten Nachbarn herauspressen können.
7. Über alles ihm nicht bekannte muss der Klassikspezialist höhnische Verrisse schreiben. Auch hier empfehlen sich einige Standardphrasen wie: "seine Musik hat sich mir bisher noch nicht erschließen können". Das ist für den Anfang gut, doch klingen geschliffene Formulierungen wie: "Harnoncourt hat die Essenz dieser Musik noch nie verstanden, auch sind seine Tempi etwas zu salopp genommen. Sehr viel besser hier die leider vergriffene Aufnahme von xy aus dem Jahre 1923 (nur auf Schellack erhältlich), die den Charakter des Werkes wirklich zur Geltung bringt".
8. Niemals sollten zu ausführliche Begründungen für Gefallen oder Ablehnung hervorgebracht werden. Dies könnte sehr schnell in eine Sackgasse führen (etwa wenn nachgefragt wird). Ein simples "diese Interpretation geht völlig am Kern vorbei" genügt. Kommen Nachfragen, sollte man eher ein Gegenbeispiel geben, etwa "die Aufnahme mit xy mit der Niedermährischen Stattskapelle unter Zwietoslaw Kaschmirinsky kommt dem, was ich meine, sehr viel näher" (unbedingt einen fiktiven Namen nehmen!). Falls dennoch weitergefragt wird, kann man sich auch mit einem simplen "auf diesem Niveau kann das nicht ausdiskutiert werden" helfen.
9. Vermieden werden sollte ein Diskutieren über Werke, die sehr bekannt sind (etwa Betthovens Symphonien). Falls es dennoch notwendig ist, darauf einzugehen, empfiehlt es sich, das Werk unbedingt positiv zu bewerten. Hier genügen die allgemeinsten Floskeln wie "wundervolle Musik" oder "herrliche Orchestration" um sich zunächst viele Freunde zu machen, die dann auch nichts schlechtes mehr über die Niedermährische Staatskapelle sagen werden.
10. Es empfiehlt sich aber auch, mindestens eine Epoche oder Gattung zu wählen, die man prinzipiell nur schlecht findet. Sehr beliebt ist hier etwa die Musik nach 1945 oder aber auch alles vor dem Hochbarock. So kann man sich auch ersparen, über komplizierte Dinge wie Mensuralnotation oder Serialismus etwas nachlesen zu müssen.
Es genügt im Grunde, der gewählten Epoche Musikalität grundsätzlich abzusprechen oder einige wenige Standardargumente immer wieder einzubringen. Musik des Mittelalters ist "zu wenig entwickelt" , moderne Musik "kindliches Herumexperimentieren ohne Sinn und Zweck". Es ist grundsätzlich auch möglich, Gattungen wie die Vokalmusik anzuprangern, etwa indem man mangelnde kompositorische Rafinessen in der Gattung grundsätzlich immer wieder betont. Bei einzelnen Komponisten kann ebenfalls eine verneinende Haltung angenommen werden. Bei manchen geht das einfach, etwa bei Smetana ("also bitte, der Mann war taub!") oder auch bei Puccini ("wer so viel Kokain nimmt, kann nichts gutes produzieren"). Aber auch bei Bach ("bei so vielen Gören würde ich auch wirres Zeug schreiben") oder Schubert ("Syphilis war noch nie sehr inspirierend") kann man genügend einfache und schlagende Argumente immer wieder in die Runde werfen.
Damit wären die wichtigsten Grundlagen für eine erfolgreiche Karriere als Klassikliebhaber gegeben. Oder habe ich etwa irgend etwas vergessen?
Satie
ausgehend von den hohen Wogen, die der Thread über die Frage, ob dies Forum denn nun elitär sei oder nicht, möchte ich hier beginnen, natürlich total überspitzt, einige polemische Thesen aufzuwerfen, die uns beweisen sollen, wieviel Selbstironie wir überhaupt haben und haben können und darüber hinaus einfach mal zum Schmunzeln anregen...
1. Um ein Klassikliebhaber zu werden, muss man folgende Eigenschaften haben: zu wenig Geld für Pop-CDs und daraus resultiernder Hass auf die gesamte Unterhaltungsmusik, genügend Verschrobenheit, um sich durch Wühltische der Wohltat'schen Buchhandlung zu quälen und alle paar Minuten einen Heureka-Schrei auszustoßen, und natürlich die Fähigkeit, sich einen interessanten Nickname zuzulegen, hinter dem man sich dann eine neue fiktive Identität zurechtschustern kann.
2. Nach mehreren Tagen ratlosen herumsuchens auf den oben erwähnten Wühltischen entscheide man sich blind für einige CDs, deren Titel einem so wenig wie irgend möglich sagen. Es ist zu empfehlen, dabei auf skandinavisch oder östlich klingende Komponisten- und Interpretennamen zurückzugreifen, das erhöht die Chance, sich etwas wirklich exklusives zu ergattern.
3. Zu Hause lese man die Booklets der CDs (das ist die musikalisch-theoretische Grundausbildung). Falls die CDs aus dem 1-Euro-Segment stammen und evtl. kein Booklet vorhanden sein sollte, gebe man am besten den Namen bei Google ein. Nun hat man bereits ein Spezialgebiet (die Kenntnis anderer Komponisten und Werke ist völlig überflüßig).
4. Es ist besonders zu empfehlen, die Komponistennamen bei Wikipedia zu suchen und dann die Namen der völlig unbekannten und ebnso unwichtigen Freunde und Lehrer des unbekannten Komponisten zu googeln, denn damit läßt sich noch sehr viel besser angeben!
5. Danach empfiehlt es sich, eine Datenbank mit sämtlichen existenten Interpretationen zu suchen. Davon merkeman sich primär jene Aufnahmen, die wahnsinnig teuer sind oder besser noch jene, die man gar nicht mehr imHandel erhält. Letztere Aufnahmen sind in regelmäßigen Abständen immer wieder als Referenz anzuführen.
6. Es schadet nicht, sich im Laufe der Zeit ein blasiertes Vokabular anzueignen, damit man immer längere Beiträge verfassen kann, nachdem man anfänglich mit knappen Informationen genügnd Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, um als profunder Kenner respektiert zu werden. Es empfiehlt sich, immer wieder Phrasen wie "von beachtlichem handwerklichem Geschick", "Elastizität in den Ecksätzen", "Stupender Technik jenseits allen Manierismus", "Werkadäquater analytischer Interpretation, verquickt mit filigraner Poetik" oder ähnliche immer wieder zu üben. Die Rechtschreibung (ordogravih) ist dabei nebensächlich, denn man soll ruhig den Eindruck haben, das sei alles im Rausch dahingeschrieben. Schließlich hat der Kenner im Hintergrund gerade das Bläserseptett in his-moll von Ignaz Karl Schrattenhofer im Player, und er muss während des Schreibens noch auf den vierfachen Kontrapunkt hören und selbstverständlich beim Erreichen des Seitenthemas in der Reprise noch ein lautes Auflachen für die genervten Nachbarn herauspressen können.
7. Über alles ihm nicht bekannte muss der Klassikspezialist höhnische Verrisse schreiben. Auch hier empfehlen sich einige Standardphrasen wie: "seine Musik hat sich mir bisher noch nicht erschließen können". Das ist für den Anfang gut, doch klingen geschliffene Formulierungen wie: "Harnoncourt hat die Essenz dieser Musik noch nie verstanden, auch sind seine Tempi etwas zu salopp genommen. Sehr viel besser hier die leider vergriffene Aufnahme von xy aus dem Jahre 1923 (nur auf Schellack erhältlich), die den Charakter des Werkes wirklich zur Geltung bringt".
8. Niemals sollten zu ausführliche Begründungen für Gefallen oder Ablehnung hervorgebracht werden. Dies könnte sehr schnell in eine Sackgasse führen (etwa wenn nachgefragt wird). Ein simples "diese Interpretation geht völlig am Kern vorbei" genügt. Kommen Nachfragen, sollte man eher ein Gegenbeispiel geben, etwa "die Aufnahme mit xy mit der Niedermährischen Stattskapelle unter Zwietoslaw Kaschmirinsky kommt dem, was ich meine, sehr viel näher" (unbedingt einen fiktiven Namen nehmen!). Falls dennoch weitergefragt wird, kann man sich auch mit einem simplen "auf diesem Niveau kann das nicht ausdiskutiert werden" helfen.
9. Vermieden werden sollte ein Diskutieren über Werke, die sehr bekannt sind (etwa Betthovens Symphonien). Falls es dennoch notwendig ist, darauf einzugehen, empfiehlt es sich, das Werk unbedingt positiv zu bewerten. Hier genügen die allgemeinsten Floskeln wie "wundervolle Musik" oder "herrliche Orchestration" um sich zunächst viele Freunde zu machen, die dann auch nichts schlechtes mehr über die Niedermährische Staatskapelle sagen werden.
10. Es empfiehlt sich aber auch, mindestens eine Epoche oder Gattung zu wählen, die man prinzipiell nur schlecht findet. Sehr beliebt ist hier etwa die Musik nach 1945 oder aber auch alles vor dem Hochbarock. So kann man sich auch ersparen, über komplizierte Dinge wie Mensuralnotation oder Serialismus etwas nachlesen zu müssen.
Es genügt im Grunde, der gewählten Epoche Musikalität grundsätzlich abzusprechen oder einige wenige Standardargumente immer wieder einzubringen. Musik des Mittelalters ist "zu wenig entwickelt" , moderne Musik "kindliches Herumexperimentieren ohne Sinn und Zweck". Es ist grundsätzlich auch möglich, Gattungen wie die Vokalmusik anzuprangern, etwa indem man mangelnde kompositorische Rafinessen in der Gattung grundsätzlich immer wieder betont. Bei einzelnen Komponisten kann ebenfalls eine verneinende Haltung angenommen werden. Bei manchen geht das einfach, etwa bei Smetana ("also bitte, der Mann war taub!") oder auch bei Puccini ("wer so viel Kokain nimmt, kann nichts gutes produzieren"). Aber auch bei Bach ("bei so vielen Gören würde ich auch wirres Zeug schreiben") oder Schubert ("Syphilis war noch nie sehr inspirierend") kann man genügend einfache und schlagende Argumente immer wieder in die Runde werfen.
Damit wären die wichtigsten Grundlagen für eine erfolgreiche Karriere als Klassikliebhaber gegeben. Oder habe ich etwa irgend etwas vergessen?
Satie
"...the only logical starting point for a genuine creative art of music -- the ear, and the manifold delights and stimuli that the ear, in conjunction with the experienced mind, can find in the exercise of imagination."
Harry Partch
Harry Partch
Dieser Beitrag wurde bereits 4 mal editiert, zuletzt von Satie ()